Chemie am Bau

Wer an Gebäude, Straßen und Brücken denkt, verbindet damit vermutlich zunächst einmal pure Physik: Die Konstruktion muss halten, statisch stabil sein und Zug- sowie Druckkräften standhalten. Mit Hilfe der Festigkeitslehre und den Gesetzen der statischen Mechanik konstruieren Ingenieure unsere Infrastruktur. Oberstes Ziel sind die Nutzbarkeit, Sicherheit und Dauerhaftigkeit der entstehenden Bauwerke.

Allerdings nehmen die Menschen schon seit 10.000 Jahren nicht mehr einfach nur diejenigen Baustoffe zur Hand, die uns die Natur zur Verfügung stellt. Neue Baustoffe werden geschaffen und bestehende systematisch verändert. Die Chemie ist diejenige Disziplin, die sich mit der Schaffung von neuen Stoffen aus verschiedenen Ausgangsmaterialien beschäftigt. Deshalb ist Chemie mit dem Bauwesen untrennbar verknüpft - auch wenn sie nicht so offensichtlich ist wie die Physik.

Die meisten Baustoffe, die bei der Neuerrichtung eines Bauwerkes genutzt werden, sind künstlich hergestellt:

  • Für die Herstellung von Zement werden Kalkstein und Ton bei hohen Temperaturen zur Reaktion gebracht. Die Einzelbausteine Ca, Si, O, Al, Fe ordnen sich neu an und bilden reaktionsfähigen Zement. Dieser erhärtet mit Wasser zum Zementstein.
  • Zur Herstellung von Beton werden dem Zement Gesteinskörner zugemischt und Wasser zugegeben. Um die Eigenschaften des Betons, z.B. die Fließfähigkeit oder die Erhärtungsgeschwindigkeit gemäß den Ansprüchen der Baustelle zu beeinflussen, werden Betonzusatzmittel zugefügt, die ebenfalls über chemische Mechanismen den Frischbeton und später den Festbeton verändern.
  • Auch Kalkmörtel oder Zementmörtel – im Innenausbau von Gebäuden und bei der Erstellung von Fassaden vielfach eingesetzt als Fliesenkleber, Bodenspachtel, Putz, usw. – sind selbstverständlich das Ergebnis chemischer Reaktionen.
  • Verschiedenste Arten von Kunststoffen werden im Bauwesen eingesetzt. Betonbauteile, Fußböden, Dächer und Fassaden werden mit Kunststoffen versiegelt, abgedichtet und damit vor Schäden geschützt.
  • Um Holz für dauerhafte Konstruktionen einsetzen zu können, können die entsprechenden Bauteile vor Schädlingsbefall mit Holzschutzmitteln geschützt werden, und auch Brandschutzmittel, die Holz und Holzwerkstoffe schwer entflammbar machen, kommen ohne chemische Stoffe nicht aus.


Die Dauerhaftigkeit von Bauwerken ist auch bei planvoller und sorgfältiger Errichtung begrenzt. Vielfältige Umwelteinflüsse wirken auf das Bauwerk ein und können seine Struktur schädigen. Dabei spielen nicht nur mechanische Belastungen eine Rolle (z.B. hohes Verkehrsaufkommen) sondern auch chemische Schädigungsmechanismen. Durch die Reaktion zwischen alkalischem Beton und Kohlenstoffdioxid aus der Luft karbonatisiert beispielsweise der Werkstoff, der pH-Wert sinkt und der im Beton eingelassene Stahl kann korrodieren. Eindringende Feuchtigkeit und mit ihr eindringende Salze können vielfältige Schädigungsmechanismen auslösen, z.B. die Auskristallisation von Salzen mit erheblicher Sprengwirkung, Umwandlung von Betonphasen in weniger belastbare Stoffe oder die Korrosion von Bewehrungsstahl. Schäden an Bauteilen sind also oftmals mit chemischen Reaktionen verbunden, die den Ausgangswerkstoff umwandeln und damit die Festigkeit der Konstruktion oder auch die Ästhetik stark beeinträchtigen.

Um darauf sinnvoll zu reagieren, sollten die schädigenden Mechanismen im ersten Schritt verstanden werden. Darauf aufbauend können Gegenmaßnahmen entwickelt werden. Korrosionsschutz muss also nicht nur die mechanischen, sondern auch die chemischen Belastungen von Bauwerken bedenken.

Schon geschädigte Bauteile können oftmals durch Instandsetzung und Sanierung gerettet werden. Das Bauwesen kennt eine große entsprechende Produktpalette, in der bauchemische Werkstoffe oder Hilfsstoffe genauso häufig auftreten wie bei Neubauten.

Ein wichtiger Aspekt über die rein funktionale Seite der Bauchemie hinaus ist die Wechselwirkung der eingesetzten bauchemischen Produkte mit den Menschen, ihrer Gesundheit und der Umwelt. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den eingesetzten Stoffen und Zusätzen setzt voraus, dass die Auswirkungen über die reine Bauphase hinaus bedacht werden.

  • Wie kann die Gesamtenergiebilanz bei der Herstellung der Produkte optimiert werden?
  • Wie wird eine möglichst hohe Recyclingquote gewährleistet?
  • Wie können Produkte hergestellt werden, die Stoffe mit möglichst geringen gesundheits- und umweltrelevanten Auswirkungen enthalten?


Ohne Chemie ist Bauen nicht möglich. Je besser das Verständnis der chemischen Prozesse ist, desto gezielter können diese beeinflusst werden und desto besser und dauerhafter ist das bauliche Ergebnis. Deshalb ist es auch für Architekten und Bauingenieure sinnvoll, sich mit der Chemie der Baustoffe zu beschäftigen.